Über die Anziehungskraft dunkler Fassaden
Schwarz, anthrazit, dunkelgrau: Für Gebäude nicht auf den ersten Blick die erste Farbwahl, denn dunkle Farben absorbieren Sonnenstrahlen. Die Folge: Die Fassadenkonstruktion heizt sich auf und das Schadensrisiko durch Verformungen und Risse erhöht sich. Das heißt nicht, dass es nicht trotzdem möglich ist, dunkle Fassaden zu gestalten. Es ist vielmehr Geschmackssache.
Von Schiefer bis gefärbtem Verbundstoff
Bei Fassaden zählen neben hohen funktionalen Anforderungen insbesondere die optischen Merkmale. Wo früher in erster Linie lokal verfügbare Baustoffe wie Lehm und Holz verbaut wurden, scheint der Gestaltungsspielraum heute schier unendlich.Lange Zeit war Schiefer das einzige Baumaterial, mit dem sich wetterbeständige schwarze Fassaden in die Realität umsetzen ließen. In nordischen Regionen wurden Holzfassaden mit einer Teerschicht geschützt. Somit waren schwarze Fassaden eher eine regionale Erscheinung. Heute gibt es eine Vielzahl an Materialien aus verschiedenen Verbundstoffen für Vorhangfassaden, auch bei gängigen verputzten und verklinkerten Fassadenverkleidungen gibt es eine große Auswahl. Spezielle Fassadenfarben schaffen eine Reflexion der Lichteinstrahlung. Eine dunkle Fassadengestaltung ist somit zur bewussten Entscheidung geworden.
Schwarzsehen ist subjektiv
Doch die Entscheidung für eine schwarze oder sehr dunkle Gebäudehülle ist nicht für jeden nachvollziehbar. Ein schwarzes Gebäude fällt auf, sticht ins Auge und bekommt dadurch eine besondere Anziehungskraft. Und erreicht damit vor allem eines: Es polarisiert. Wo die einen eine optisch ansprechende Fassade sehen, sehen die anderen eine Provokation.Dabei liefert die schwarze Fassade ihrem Betrachter mit einem reduzierten Spektrum weniger Informationen, als es eine farbige tun würde. Dem Betrachter wird also erst einmal die Rezeption vereinfacht. Vergleichbar ist das mit der unterschiedlichen Aufnahme von farbigen Bildern und solchen in schwarz-weiß. Das Fehlen des Lichts schafft Klarheit und betont Strukturen. Trotzdem: Schon immer hat es Ärger gegeben, wenn sich Objekte nicht einfügen, sondern abheben. Und nicht jede Gestaltungssatzung lässt dunkle Fassaden zu. Gerade monochrome schwarze Gebäude sind vielen ein Dorn im Auge. Zu mächtig und bedrohlich erscheinen sie in der Landschaft. Assoziationen wie „verbrannt“ oder „schwarzes Loch“ fallen in dem Zusammenhang. Ob antiquierte Ansichten oder nicht – die Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft trägt maßgeblich zur Lebensqualität bei.
Ins richtige Licht rücken
Die Wirkung einer schwarzen Fassade hängt zweifelsfrei von ihrer Umgebung ab. Eine Gruppierung dunkler Gebäude schafft einen eher tristen, traurigen Gesamteindruck. Denn Schwarz lebt von anderen Farben. Ein schwarzes Haus inmitten von Grün wird dagegen zum besonderen Blickfang und ragt fast ikonisch hervor.
In Kombination mit anderen Werkstoffen, wie hellem Holz oder in Verbindung mit großen Verglasungsflächen, bekommt das Gebäude neben der Designkomponente auch ein freundlicheres Erscheinungsbild. Naturverbunden und ebenfalls wärmer geben sich dunkle Holzvertäfelungen.
Beliebt ist das Spiel mit Hell und Dunkel: Während ein Haus außen dunkel und gedrungen ist, erscheint es innen hell und groß.
Zudem ist nicht außer Acht zu lassen, dass dunkle Farben große Gebäude zierlicher erscheinen lassen, wenn sie gezielt eingesetzt werden. Fassadenvorsprünge, Ecken, Kanten und nachträgliche Anbauten werden unauffälliger. Als Stilmittel kann Schwarz Akzente setzen.
Dunkle Fassaden können auch funktional eingesetzt werden, indem sie sich die wärmeabsorbierende Eigenschaft zu Nutze machen. So wird die schattige Nordwestseite schwarz und die Sonnenseite weiß gestaltet. Dadurch wird die unterschiedliche Sonneneinstrahlung ausgenutzt: Die weiße Seite reflektiert, die schwarze absorbiert.
Nicht nur Geschmack als Entscheidungskriterium
Neben Einschränkungen durch Budget, Vorstellungen des Bauherrn, funktionalen Anforderungen und der Erscheinung im Gesamtbild, ist bei einer dunklen Fassadengestaltung der physikalische Aspekt zu berücksichtigen. In einer sowieso schon dicht versiegelten Stadt dunkle Gebäude zu errichten, trägt zur Erwärmung innerhalb der Stadt bei. Damit bildet es eine zusätzliche Belastung für die vom Klimawandel gezeichnete Umwelt.Die Entscheidung für oder gegen eine dunkle Fassade ist also bei Weitem keine leichte. Wer sich aber gerne aus der Menge hervortut und auch kein Problem mit ein bisschen Drama hat, für den kann sie durchaus die richtige sein. Ansonsten stellt sich die Frage, ob ein solches Gebäude sich zu viel künstlerische Freiheit nimmt. Wird es als Teil des Lebensraums akzeptiert oder stellt es sich als Kunstobjekt über die Bedürfnisse der demokratischen Gesellschaft?
Pia Gottszky
Autorin und Journalismusexpertin mit Schwerpunkt auf Architekturthemen im gesellschaftlichen Kontext.