Gepostet von Tim Westphal
am 22.05.2020
Machen. Und nicht zögern.
Wie wir lernen, einen neuen Alltag zu leben: Corona treibt die Digitalisierung des Bauens voran.
„Langsam werden wir verstehen, dass wir sehr viel mehr hätten machen können, als wir bisher getan haben. Es ist die perfekte Zeit, kreativ zu sein und Neues auszuprobieren.“ Fermín Tribaldos, Gründer Architects not Architecture
In den letzten Wochen mussten viele von uns unfreiwillig zuhause bleiben. Wir haben gelernt, uns mit der aktuellen Corona-Situation zu arrangieren – und arbeiten jetzt im Home-Office. Aber es gibt viele Baustellen, die weiterlaufen. Viele Bauproduktehersteller haben ihre Werke weiterhin geöffnet. Etliche Freelancer, die zum Beispiel Fachveranstaltungen für Architekten organisieren, sind hingegen schwer getroffen. Wie geht die Branche mit der momentanen Situation um? Und wie blickt sie auf die kommenden Monate?
Bei der Recherche nach den „Machern“, die draußen auf den Baustellen, in den Fabriken, den Büros und im Home-Office weiter anpacken, sind wir dabei auf einen aktuellen Artikel in der DBZ Heftausgabe 5/2020 gestoßen, der auf der Website der DBZ um weitere Statements ergänzt ist. Diese Momentaufnahmen aus Architektur- und Planungsbüros, von Freelancern, Berufsverbänden und Bauproduktherstellern möchten wir mit Ihnen teilen. Warum? Weil wir gemeinsam nach vorn schauen müssen: Offen für Neues und mit Lösungen, die unsere Arbeit einfacher und effizienter machen.
Die Baustellen laufen. Die Baugenehmigungen leider nicht.
Die befragten Architekten sind verhalten positiv gestimmt, denn ihre Projekte laufen weiter. Das ist anders als im Maschinenbau oder der Automobilbranche. Wegen Corona ist bis dato keine der Baustellen geschlossen. Dennoch erschweren fehlende Fach- und Hilfsarbeiter, die zum Beispiel durch Grenzschließungen nicht nach Deutschland kommen können, die Situation. Hinzu kommen Lieferengpässe für Bauprodukte – zum Glück eher die Ausnahme. Weitaus schwerer wiegt, dass die Bauämter in vielen Bundesländern geschlossen bleiben oder nur sehr eingeschränkt weiterarbeiten. Die Folge: Bauanträge werden nicht bearbeitet. Das berichtet auch Nathalie Dziopek-Bepler, Geschäftsführung + Beratung der baukind GmbH.
»Die laufenden Genehmigungsverfahren sind vorübergehend eingestellt, da die Ämter geschlossen sind. Doch bei unseren Baustellen sind wir zum Glück derzeit noch von wenig Einschränkungen betroffen, sodass unsere gegenwärtigen Projekte weitergeführt werden und wir unser Möglichstes geben, alle geplanten Termine aufrecht zu erhalten.« Nathalie Dziopek-Bepler, Geschäftsführung + Beratung, baukind GmbH
Vom Entwurf bis zum Gesetzbeschluss – in nur 16 Tagen
Neuprojekte können also nicht gestartet werden. Dies wird sich nicht sofort auswirken, aber spätestens zum Herbst/Winter 2020/2021 könnte es eng werden. In den vergangenen Wochen wurde viel darüber diskutiert, was zu tun ist. Denn der Baugenehmigungsablauf „entschleunigt“ sich weiter. Der am 29. April vorgestellte Gesetzentwurf zur Sicherstellung ordnungsgemäßer Planungs- und Genehmigungsverfahren während der COVID-19-Pandemie (u.a. HAUFE berichtete) wird das nun schnell verbessern. So sind zukünftig digitale Besprechungen statt Vor-Ort-Termine im Amt möglich. Das wichtige Gesetz ist bereits gut zwei Wochen später am 14. Mai im Bundestag beschlossen und am 15. Mai vom Bundesrat bestätigt worden.
So schnell geht es selten in der Politik. Doch die Architekten, Fachplaner, die Bauindustrie und Bauämter brauchen Planungssicherheit. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Die akuten Sorgen und Einschränkungen in den Arbeitsabläufen sind damit erst einmal weder gelöst noch behoben. Das dokumentieren auch die zahlreichen Beiträge von Architekten und Planern in dem oben genannten Artikel der DBZ. Dennoch bleibt festzustellen: 16 Tage vom Gesetzentwurf bis zum Beschluss im Bundesrat zeigen den Willen der Bundesregierung, die Baubranche zügig zu unterstützen und den Einsatz von digitalen Werkzeugen weiter voranzutreiben.
»Dann erfuhren wir, dass die Zahl der Corona-Infektionen in Deutschland stieg. Die gmp-Standorte in Hamburg und Berlin stellten ab Mitte März teilweise auf Homeoffice um. Die Erfahrungen, die wir diesbezüglich zuvor in China gesammelt hatten, halfen bei der schnellen Umstellung. Plan B kam zum Einsatz – Glück im Unglück.« Wu Wei, Partner im Büro von Gerkan, Marg und Partner, Shanghai
Corona ist der Digitalisierungstreiber einer ganzen Branche
Die Krise könnte dennoch einen nachhaltig positiven Nebeneffekt haben: Die Digitalisierung des Bauwesens beschleunigt sich. Wenn auch notgedrungen. So entwickelte jedes Industrieunternehmen im März und April 2020 ad hoc individuelle Lösungen für dezentrales Arbeiten und Anti-Corona-Strategien für die Produktion. Das war leichter für den, der bereits gut digital aufgestellt war. Darüber hinaus unterstützen Dienstleister seit längerem mit digitalen Angeboten, die beispielsweise Architekten, Planern und Bauindustrie passgenaue Plattformen für den effizienten Daten- und Informationsaustausch wie beispielsweise Plan.One bieten.
Corona forderte vor allem die digitalen Zögerer und Verweigerer. Denn es galt: entweder Abschließen oder dezentral organisiert vom Home-Office weiterarbeiten. Innerhalb weniger Tage wurden komplette Unternehmensbereiche, mit Ausnahme der Werksproduktion, ins Home-Office geschickt. Eine Rückkehr in eine alte Normalität scheint nur wenige Wochen danach unmöglich. Doch die durchaus positiven Perspektiven dieser veränderten Arbeitswelt analysiert das Frankfurter Zukunftsinstitut um Matthias Horx in einem aktuellen Whitepaper „Die Wirtschaft nach Corona“.
»Knauf treibt die Digitalisierung am Bau bereits seit Jahren voran. Der Nutzen dieser Vorarbeit zeigt sich jetzt sehr deutlich. Unsere Kunden haben die Erfahrung gemacht, dass ihnen nicht nur alle nötigen Basis-Informationen von Knauf jederzeit zur Verfügung stehen. Selbst komplexere, individuell zugeschnittene Datenanforderungen können sie über verschiedene Konfiguratoren und Tools sehr schnell generieren.« Klaus Salhoff, Leiter Bautechnik Zentraleuropa, Knauf Gips KG
Freiberufler: Arbeit ohne Netz und doppelten Boden
Die Kreativwirtschaft ist eine wichtige Triebfeder für Innovation in der Wirtschaft und im Bauwesen. Ohne die Vielzahl an Agenturen und Einzelkämpfern, wäre die Baubranche in vielen Bereichen kaum lebensfähig. Ihr Stellenwert wird aktuell jedoch verkannt. Unbürokratische Unterstützung: Fehlanzeige. So sollen Hilfen, die im Zuge von Corona Solo-Selbstständigen bereitgestellt werden, die Betriebskosten wie Büromiete und Strom abdecken – jedoch nicht den Lebensunterhalt. Im Gegenteil, denn wer die Hilfe dafür nutzt, zweckentfremdet den Zuschuss und kann sogar wegen Subventionsbetrug belangt werden. Aktuell bleibt da vieles im Unklaren, wie zum Beispiel der auf Künstler und Freiberufler spezialisierte Steuerberater Jens-Martin Müller herausstellt.
Trotzdem regt sich viel Neues. Und Eigeninitiative ist weiterhin das beste Antidepressivum. Galerien oder Museen verlagern ihre Ausstellungen und Sammlungen ins Netz. Schauspieler und Kabarettisten stellen ihre Bühnenprogramme oder Filme im Netz zur Verfügung. Das gilt auch für Fermin Tribaldos. Er ist der Gründer des international erfolgreichen Veranstaltungsformats Architects not Architecture, musste wegen Kontaktbeschränkungen und Veranstaltungsverboten alle Veranstaltungen in ganz Europa absagen. Doch er ist zuversichtlich und begreift die Krise als Chance, die die Gesellschaft und Wirtschaft positiv beeinflussen kann. Aktuell steht er mit neuem Format und Online in den Startlöchern. Fermin lässt sich wie viele andere in der Branche weiterhin nicht unterkriegen: „Langsam werden wir verstehen, dass wir sehr viel mehr hätten machen können, als wir bisher getan haben. Es ist die perfekte Zeit, kreativ zu sein und Neues auszuprobieren.“
»Corona stellt alles auf den Kopf, aber es kann uns dabei helfen, uns selbst sowie die Welt, in der wir leben, ein wenig anders zu sehen und neue Chancen zu erkennen. Die “Normalität” nach der Pandemie wird eine andere sein, eine viel Reichere und Interessantere als vor der Krise. Lasst uns diese verrückten Zeiten nutzen, um uns gesellschaftlich weiterzuentwickeln. Ich bin optimistisch.«
Fermín Tribaldos, Gründer Architects not Architecture
Die Zitate von Nathalie Dziopek-Bepler, Wu Wei und Fermín Tribaldos sind Auszüge von Artikeln auf der Website der DBZ.
Tim Westphal
Autor und Branchenexperte, spezialisiert im Architekturjournalismus auf erklärungsbedürftige Themen und komplexe Baugeschichten.