Wie die Komplexität der Produktauswahl die Schadenkosten beeinflusst
Heike Böhmer ist die Leiterin des Instituts für Bauforschung in Hannover. Und damit auch verantwortlich für die Studie „Analyse der Entwicklung der Bauschäden und der Bauschadenkosten“. Die Studie analysiert Bauschäden und Bauschadenkosten auf der Grundlage von einschlägigen Versicherungsschäden. Sarah Centgraf sprach für uns mit Heike Böhmer über die Studie und wie Planer Bauschäden und die daraus resultierenden Schadenkosten vermeiden können.
Heike Böhmer ist die Leiterin des Instituts für Bauforschung in Hannover. Und damit auch verantwortlich für die Studie „Analyse der Entwicklung der Bauschäden und der Bauschadenkosten“. Die Studie analysiert Bauschäden und Bauschadenkosten auf der Grundlage von einschlägigen Versicherungsschäden. Sarah Centgraf sprach für uns mit Heike Böhmer über die Studie und wie Planer Bauschäden und die daraus resultierenden Schadenkosten vermeiden können.
Die Entwicklung der Bauschäden lässt die Vermutung zu, wer mehr baut, macht mehr Fehler. Würden Sie der Aussage zustimmen?
Man kann das vermuten. Aber ich stehe auf dem Standpunkt, dass das nicht zwangsläufig so ist. Wir werten Bauschadenzahlen an Hand von Daten einer Versicherung aus. Wir schauen uns also nur Schäden an. Und wenn wir das auf das gesamte Baugeschehen beziehen würden, wäre das anmaßend. Wir analysieren zwar eine große Anzahl, können und wollen daraus aber nicht schließen, dass die Bauqualität in Deutschland insgesamt schlecht ist. Wenn wir aber ins Detail gucken, sehen wir schon Anzeichen dafür, dass Masse und Schnelligkeit zur Verschlechterung der Bauqualität beitragen könnten.
Ein Bereich, in dem wir ansteigende Schadenzahlen feststellen, ist die Anlagentechnik, also Heizungs-, Lüftungs- und Solartechnik. Die Technik wird hier immer komplexer und erfordert viel Fachkompetenz. Dass an einem Bauprojekt viele unterschiedliche Akteure mit beteiligt sind und der Fachkräftemangel zunimmt, sind u.a. Gründe für die ansteigenden Schadenzahlen.
Sie haben ermittelt, dass sich die Schadenkosten erhöht haben. Können Sie eine Prognose wagen, wie sich diese Zahl in Zukunft entwickelt?
Die Tendenz unserer Untersuchung und unsere eigene Praxiserfahrung legen nahe, dass die Schadenkosten weiter deutlich steigen. Auch wenn wir die Schadenkomplexität selbst außer Acht lassen, werden sie allein schon deshalb steigen, weil sich die Baukosten erhöhen. Gründe dafür sind die gute Auslastung der ausführenden Firmen sowie gestiegene Materialpreise. Zudem steigen neben diesen Kosten, die die Mangel- und Schadenbeseitigung umfassen, auch die Sachverständigen- und Gerichtskosten. Und das ist nicht nur im Neubau der Fall. Immer, wenn etwas am Gebäude getan werden muss, ist Geld in die Hand zu nehmen. Das ist auch bei Sanierungen so. Schadenbeseitigung ist im Grunde nichts anderes als eine Sanierung. Wenn wir dann noch berücksichtigen, dass das Bauen aufgrund der Anforderungen und Ansprüche komplexer wird, dann ist ebenfalls davon auszugehen, dass die Schadenkosten steigen werden. Dabei spielen nicht zuletzt auch die Anforderungen an die Planung und Ausführung aufgrund von technischen Normen und vielfältigen Produkten auf dem Markt eine Rolle.
Denken Sie, dass die Planungsmethode BIM dem entgegenwirken kann?
Allein die Methode kann das nicht. BIM ist erst einmal nichts anderes als ein Bleistift oder ein Computerprogramm, mit dem man eine Zeichnung erstellt. Das, was an Informationen hineingegeben wird, muss fachlich richtig sein. Die Methode hilft nicht weiter, wenn die eingegebenen Attribute, Eigenschaften und Merkmale falsch sind. Was sich durch BIM verbessert, ist die Kommunikation zwischen den Beteiligten, was besonders an Schnittstellen zwischen Gewerken und Beteiligten wichtig ist. Architekten haben mit dem digitalen Prozess die Möglichkeit, das Planen bis hin zum Bauen zu optimieren und Fehler zu vermeiden, zum Beispiel durch Kollisionsprüfung. Nichts desto trotz ist Bauen ein Handwerk und erfordert hohe Fachkompetenz beim Planen und beim Bauen. Das nimmt BIM selbstverständlich nicht ab.
Leiten Sie aus der Studie Handlungsempfehlungen für Architekten und Ingenieure ab?
Wir sind große Verfechter von frühzeitigem Miteinander. Wir nennen es nicht nur BIM, aber die Theorie der Kommunikation dahinter ist uns wichtig. Nicht nur, aber auch durch digitalisierte Prozesse. Wir empfehlen, die Planer und alle Bauausführenden an einen Tisch zu bringen, gemeinsam mit dem Bauherrn, und alle relevanten Dinge, die den Planungs- und Bauprozess betreffen, frühzeitig zu besprechen. So wird jede Kollision an Ideen, an Planungsdetails und Ausführungsstrategien früh auffallen. Es wird also kein Schaden, sondern schon frühzeitig ein Mangel, optimalerweise sogar schon vor dem Entstehen, erkannt. Das ist die Strategie, die wir Architekten und allen am Bau Beteiligten empfehlen und versuchen, das mit allen Möglichkeiten zu verbreiten. Ohne Kommunikation bekommt man keine Qualität. Und die zweite Sache, die ich kontinuierlich propagiere, ist die Kompetenz des beteiligten Personals zu fördern. Das beginnt schon in der Ausbildung der Architekten und Ingenieure. Bereits hier muss das Miteinander gefördert werden. Weil es miteinander natürlich viel einfacher, besser und effizienter geht.
Was für Schäden fallen besonders auf?
Das Grundthema bleibt Feuchtigkeit. Es begleitet uns seit vielen Jahren und findet sich als Folge von Abdichtungsmängeln an vielen Bauteilen, z.B. im Bereich der Fenster und Türen, des Dachs, aber auch im erdberührten Bereich, im Keller, der Bodenplatte oder auch im Innenraum in Bädern, hinter Duschen und Badewannen. Da gibt es viele Anforderungen, die aber gar nicht wirklich neu sind. Die gibt es schon seit einigen Jahren. Trotzdem ist es ein Bereich, der großes Schadenpotential hat und schwerwiegende Folgeschäden nach sich ziehen kann, wie z.B. Schimmelpilzbefall. Das schlägt sich auch auf die Schadenkosten nieder. Diese variieren dabei sehr stark. Sie unterscheiden sich nach Größe, Art und Ort des Befalls und den weiteren Folgen. In der Studie wurden vermehrt Mängel an Gebäudeabdichtung und Perimeterdämmung sowie an der Gebäudehülle (luftdichte Ebene) festgestellt. Hier findet man nicht selten Schadenkosten im 5-stelligen Bereich.
Wie erklären Sie sich die häufigen Schadenstellen am Dach?
Das Dach ist ein komplexes Bauteil, überwiegend nicht massiv, sondern ein Leichtbau, der handwerklich gefertigt wird und an dem viele Gewerke beteiligt sind. Es gibt dementsprechend viele konstruktive Schnittstellen, die natürlich Risikobereiche darstellen. Da es darüber hinaus häufig dazu kommt, dass von Beginn an nicht alle am Bau Beteiligten an einem Tisch sitzen und eine gemeinsame Lösung abstimmen und die Gewerke nacheinander arbeiten, kann es zu Missverständnissen in der Ausführung kommen, manchmal sogar zur Beschädigung des vorangegangenen Gewerks.
Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen der Zunahme der Schäden am Dach und den eingesetzten Produkten?
Wir können einen Zusammenhang mit der Studie nicht eindeutig nachweisen. Allerdings zeigt der Blick in zahlreiche Gutachten, dass die Vielzahl der Produkte, die es am Markt gibt, in Kombination mit den Anforderungen an das Bauteil eine große Herausforderung für die Planer und Bauausführenden darstellt. Da nur bestimmte Systembausteine zueinander passen, ist es wichtig, das richtige – für die jeweilige Anwendung zugelassene – Produkt auszuwählen und fachgerecht einzubauen.
Können Produktvergleichsplattformen wie Plan.One dazu beitragen, sich im Produktmarkt besser zu Recht zu finden?
Schwierig bleibt die Tatsache, dass ausschließlich der Entscheider für die Richtigkeit der verwendeten Daten, Produkte, Ausführungsdetails und -hinweise haftet, was auch weiterhin die schon erwähnte Kompetenz der Entscheider fordert. Aus- und Weiterbildung bleiben also unveränderte Forderungen für Bauqualität. Produktvergleichsplattformen können dennoch die Baubeteiligten in ihrer Entscheidung unterstützen, sofern sie alle relevanten Kriterien und aktuellen Informationen beinhalten, die technisch und juristisch für die Entscheidung notwendig sind. Deshalb muss eine solche Plattform von Personen mit hoher Fachkompetenz kontinuierlich gepflegt werden, damit ihr Wert erhalten bleibt.
Sarah Centgraf
Architektin und Redakteurin mit Schwerpunkt auf digitalen Produktinnovationen, die zur Nachhaltigkeit beitragen.