Das urbane Quartier von morgen schont Ressourcen und mischt Funktionen
Als Architekt und Planer hat man eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung: Eine Bauweise kann dafür sorgen, Menschen am Leben teilhaben zu lassen und sie im öffentlichen Raum zusammenzubringen oder sie eher zu isolieren. Besonders deutlich macht sich dies im Quartierbau bemerkbar. Denn hier stoßen Sozialpolitik und Stadtplanung aufeinander.
Bei der Erschließung neuer Wohnräume kann und muss – sofern möglich – groß gedacht werden. Dadurch entsteht ein ganzheitliches Konzept, was unmittelbar zur Lebensqualität der Bewohner beiträgt. Der Trend Richtung Quartier ist auch durch den demografischen Wandel, die Globalisierung und den Klimawandel bedingt. Dabei hängt der Erfolg eines Viertels unmittelbar von seiner architektonischen Gestaltung ab. Denn Architektur löst Emotionen aus. Es stellt sich die Frage: Wie wollen wir in Zukunft urban leben?
Zeitgemäßes Wohnen für alle
Ein Quartier ist eine hochkomplexe Angelegenheit, vielfältige Aspekte müssen bei der Planung bedacht werden. Es handelt sich um einen sozial konstruierten Lebensraum, der vielseitigen Ansprüchen hinsichtlich Barrierefreiheit, Integration, Inklusion, Mobilität und Nachhaltigkeit genügen muss. Für mehrere Generationen und verschiedene sozio-kulturelle Hintergründe. Dadurch fördert ein Quartier das Zusammentreffen von Gegensätzen auf kompaktem Raum.
Säulen für eine gute Nachbarschaft bilden Engagement und Beteiligung. Auch Konsum, Kultur und öffentliche Räume, in denen man Verweilen kann, gehören dazu. Platz für Zusammenkünfte und Rückzugsmöglichkeiten müssen berücksichtigt werden – ebenso Lösungen für Zulieferung und Entsorgung. Sämtliche Lebenslagen und -bereiche sollen abgedeckt werden, um einen Raum für die Bewohner zu bieten, der zu ihrer Identität passt. Daher haben Schlagworte wie mobil, sozial, digital und nachhaltig auch beim Quartierbau einen hohen Stellenwert. Zum Beispiel zeichnete das Umweltbundesamt 2020 erstmals besonders nachhaltige Quartiere aus.
Der Begriff „Quartier“ ist keineswegs fest definiert, sondern versucht, die hohe Komplexität in einem Wort zusammenzufassen. Ein Quartier bildet in gewisser Weise den Bewegungsradius der Bewohner ab und ist auch durch Grenzen wie Flüsse, große Straßen oder Parks gekennzeichnet.
Der Ortsbezug ist ein menschliches Bedürfnis. Das Quartier beschreibt dabei eine Dimension, die der Mensch noch direkt erleben kann. Wo er Einfluss nehmen und durch Initiativen, Vereine und Verbände teilhaben kann. Je besser die Identität des Ortes definiert werden kann, desto wohler fühlt er sich.
Verantwortungsvoller Umgang mit knapper Ressource
Boden ist eine knappe Ressource. Aufgrund der hohen Bebauungsdichte innerhalb der Stadt ist eine ganzheitliche Quartiersplanung hier nicht immer möglich. Deshalb gilt es für die Städteplanung, Potenziale zu erkennen und bestehende Strukturen optimal zu nutzen.
Flächenrecycling ist hier ein gutes Stichwort. So kann ein Raum für neuentstehende Quartiere beispielsweise ein ehemaliges Industriegebiet oder ein stillgelegter Güterbahnhof sein. Dabei ist die Verständigung mit den Ämtern und eine meist kompliziertere Bauvorbereitung, auch durch Gegebenheiten wie den Baugrund, zu berücksichtigen.
Der große Vorteil: Es wird eine ungenutzte, unliebsame Brachenlandschaft optisch aufgewertet und wiederbelebt. Und das bringt nicht nur für Be- sondern auch für Anwohner einen Gewinn an Lebensqualität. Das Quartier bietet dabei eine Lösung, um das Wachstum von Städten zu bewältigen und sie weiterzuentwickeln.
Verdichtung in Kombination mit öffentlichem Raum
Eine dichte Stadt muss nicht immer eng bedeuten. Vielmehr sollte sie den Platz, der zur Verfügung steht, optimal ausnutzen. Das gilt sowohl architektonisch als auch städtebaulich, infrastrukturell, energetisch und im Hinblick auf die Sicherheit. Der öffentliche Raum gewinnt zunehmend an Bedeutung. Dadurch muss er einen Mehrwert für die Menschen bieten, zum Beispiel durch Begrünung, Kultur und klare Orientierungspunkte.
Die traditionelle Trennung von Wohnen, Arbeiten und Gewerbe ist für die Lebensqualität nicht förderlich, deshalb ist ein lebendiges Stadtquartier mit Nutzungsmischung zu bevorzugen. Durch eine kompakte Bauweise können Zersiedlung und Trabantenstädte vermieden werden. Ein Gebäude lässt sich beispielsweise im Erdgeschoss gut für Gewerbe und Gastronomie nutzen, weil durch Passanten eine Wohnfunktion nicht sinnvoll ist. Eine Nutzung für die Funktion Arbeiten bietet sich in den folgenden Geschossen an, zum Beispiel mit Büros oder Arztpraxen. Die weiteren Stockwerke dienen dem Wohnen. Es finden sich also horizontal geschichtet Gewerbe, Büros und Wohnungen in hoher Dichte. Dadurch werden hinter einer Fassade alle drei Funktionen vereint.
Neue Kooperationswege für effiziente Lösungen
Eine erfolgreiche Lösung bei Themen wie Mobilität und Klimaschutz ist auf Quartiersebene effizient. Am Einzelobjekt sind dagegen schnell wirtschaftliche und räumliche Grenzen erreicht. Es zahlt sich aus, in größeren Einheiten zu planen und zu agieren, unabhängig davon ob als Stadt oder Privateigentümer. Dabei muss es nicht den einen Bauherrn geben. Neben Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften prägen neue Formen der Zusammenarbeit den Quartierbau der Zukunft. Verschiedene private Akteure können miteinander Konsortien bilden. Denn wenn mehrere Projektpartner gemeinsam Verantwortung übernehmen, lässt es sich besser im großen Stil planen. Für Bauherrn und Planer ist insbesondere Beharrlichkeit und Mut wichtig. Es gilt, sich von einer hohen Dichte nicht abschrecken zu lassen, sondern kreative Lösungen zu finden und dabei eine hohe Wertigkeit und Qualität beizubehalten.
Pia Gottszky
Autorin und Journalismusexpertin mit Schwerpunkt auf Architekturthemen im gesellschaftlichen Kontext.